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Beobachtet. Kunst und Spionage in Dortmund


 

Die erste Folge ist schon etwas her, deshalb hier ein kleiner Einblick in die Ausstellung Artists & Agents – Performancekunst und Geheimdienste um die Zeit bis zur nächsten Folge zu überbrücken. Zusehen ist die Ausstellung noch bis zum 22. März 2020 im Hartware MedienKunstVerein im Kulturzentrum Dortmunder U.


Im Dortmunder U sind verschiedene Kultureinrichtungen beheimatet, der Hartware MedienKunstVerein ist im dritten Stock des ehemaligen und umgebauten Kellereihochhauses der Union-Brauerei zu finden. Die Räumlichkeiten des HMKV sind für Ausstellungsräume relativ niedrig, Fenster gibt es keine. Kein Hindernis für eine interessante und sich thamatisch einfügende Ausstellungsarchitektur!

Die Ausstellung ist in verschiedene Sektionen eingeteilt, die durch Wandfarben unterscheidbar sind. Alle Fans von Pastellfarben kommen hier auf ihre Kosten. Ganz ohne Grund wurden die Farben natürlich nicht ausgewählt. In dem kleinen Begleitheft erfährt man, dass sie von den Farben der Aktendeckel inspiriert wurden, in denen die Spionageakten abgelegt wurden. Dokumentationen finden sich beispielsweise in der blassblauen Abteilung, Interaktionen und Gegenaktionen sind mit blassrosa gekennzeichnet.

Wo wir schon bei Akten sind: Einige Akten wurden eingescannt und können von den BesucherInnen durchgeblättert werden. Ein Bericht betrifft zum Beispiel Hugo Ball und Emmi Hennings, die Gründer des Cabaret Voltaire in Zürich in dem Dada geboren wurde (Politische Polizei, Schweiz: Erhebungen über bolschewistische Umtriebe der Dadaist*innengruppe in Zürich 7 von 19 Aktenblättern, 1918-19). Noch heute verübelt es einem kaum jemand, wenn man über viele Aktionen des Dada zunächst den Kopfschüttelt, da kann man sich gut vorstellen wie suspekt der Polizei das Verhalten der Gesellschaft in der Spiegelgasse erst erschienen sein muss (Falls Dada dir noch nichts sagt, lohnt es sich hier das Stichwort Dadaismus einmal in eine Suchmaschine deiner Wahl einzugeben).Auch wenn die Polizeiberichte aus heutiger Sicht fast ebenso komisch erscheinen wie Dada selbst. Hinzu kommt hier die Präsentation der Scans: Der/die BesucherIn kann sich an einen kleinen dreieckigen Tisch setzten, dessen zwei Seiten von halbdurchlässigen Spiegelwänden abgegrenzt ist. So entsteht eine kleine intime Nische mitten in einem eigentlich sehr weiträumigen Ausstellungsraum. Die Scans sind mit einer Bügelmechanik für Ordner auf dem Tisch befestigt. Der/die BesucherIn wird LeserIn und kann in die Situation eintauchen, da das Gefühl entsteht ‚wirklich‘ an einem konspirativen Ort in einer Akte zu blättern. Um diesen Effekt noch zu verstärken hängt eine Lampe ziemlich tief und direkt über den Scans, wie man es vielleicht aus den Verhörräumen des letzten Fernsehenkrimi kennt. Ist die Lampe an, lässt sich nicht mehr durch die Seitenwände schauen. Ist das Licht aus, kann man die Schemen der anderen BesucherInnen sehen. Auf interessante Weise wird hier durch die Ausstellungsarchitektur mit der Thematik von Beobachtung, beobachtet werden, Intimität und ‚Geheimniskrämerei‘ gearbeitet. Neben den Akten gib es auch fotografische und filmische Arbeiten. Das fimlische Tagebuch From My Window 1978-1999/ Z mojego okna von Józef Robakowski hat mich sehr lange gefesselt, obwohl es eigentlich keine Handlung gibt. Über eine Zeitspanne von 20 Jahren filmte er den Parkplatz und die Straße vor seinem Haus in Lodz vom Balkon aus. Er kannte die Autos seiner Nachbarn, den Namen des Hundes vom Nachbarn aus dem dritten Stock und wer wann welchen Bus zur Arbeit nahm. Wofür hatte er diese Aufnahmen gemacht? Gruselig und zugleich beeindruckend zu sehen wie viel sich über die Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung sagen lässt, wenn man sie beobachtet. Eine weitere Arbeit bestand aus Stasi-Akten, welche das Happening Mehl Art 80 (1980) der KunstlerInnengruppe um Clara Mosch dokumentierten. Haarklein waren Orte, Uhrzeiten, beteilige Personen und Fahrzeuge aufgelistet. Einige Textstellen waren zwar zum Teil geschwärzt, was allerdings irgendwie noch besser zur ‚Stimmung‘ passte, aber immer noch gut verständlich. Fotografien ergänzten die schriftlich festgehaltenen Beobachtungen (Mehr dazu im Magazin zur Ausstellung). Hier wurde auch eine andere Frage beantwortet, welche die Kunst in Bezug auf Performance immer noch beschäftigt und noch nicht endgültig gelöst ist (was sie wahrscheinlich auch nie wird): Wie dokumentiert man eine Performance? Darf sie überhaupt dokumentieren, wenn der ‚Sinn‘ einer solchen Aktion doch gerade deren Einmaligkeit in Raum und Zeit ist? Wozu dokumentiert man sie überhaupt und wenn ja für wen und mit welchem Zweck?

Das sind nur einige wenige Einblicke und Arbeiten, zu entdecken gibt es in der Ausstellung noch weit mehr.

Am Ende wird deutlich, wie viel Angst die Kunst in Regimen und Diktaturen auslösen kann, die es für nötig hält, ihre Geheimdienste mit deren Überwachung zu beauftragen.

Ein besseres Argument für die Kunst in all ihrer Vielfalt kann es eigentlich nicht geben!


 

Weitere Informationen, mehr Bilder aus der Ausstellung, deren Zustandekommen, eine Auflistung der ausgestellten KünsterInnen UND das Magazin zur Ausstellung (auch als Download) findet ihr auf der Internetseite des HKMV.




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